Statement zu „Ready for PrEP!“

ein halbes jahr nach veröffentlichung

unser prep-faltblatt ist jetzt erst seit ein paar monaten draußen und hat schon so viele diskussionen ausgelöst – für uns kurz gelegenheit, ein zwischenfazit zu ziehen und auf einige kritikpunkte einzugehen.

zunächst einmal verstehen viele unsere intention, mit basis-infos zu prep, diskussionen zu einem völlig neuen thema anzustossen. wir hören relativ selten, wir würden für prep werben oder wären kondomfeindlich. so fühlten wir uns auch völlig missverstanden. gleichwohl gibt es zum teil große vorbehalte schon gegen die bloße auseinandersetzung mit neuen safer-sex-techniken. das engagement, mit dem gegenargumente vorgetragen werden, erstaunt uns und wirft für uns immer wieder die frage auf, um was es eigentlich noch alles geht, wenn um prep gestritten wird.

als lovelazers haben wir jetzt unzählige diskussionen zu prep geführt, sei es in talkrunden oder im persönlichen gespräch. offenes interesse, informationsbedarf und vorbehalte sind enorm. wir wollen an dieser stelle nochmal auf einige einwände eingehen:

„ihr seid gegen kondome“ – um es deutlich zu sagen: wir sind für kondome und wir sind für alles, was HIV-neuinfektionen verhindert und die verbreitung anderer STIs einschränkt, wenn menschen sich dafür entscheiden wollen und das gut in ihr leben einbauen können. was hier gut für sie ist, entscheiden nicht wir (oder andere), sondern sie selbst. nur das ist emanzipativ und zukunftsfähig. wir halten hier bevormundung schon im ansatz für repressiv.  – mit diesem ansatz schreiben wir unsere infos und lassen uns hier auch selbst nicht bevormunden oder zensieren.

„über prep informieren führt dazu, dass weniger kondome gebraucht werden“ – das ist quatsch. über prep informieren führt dazu, ins bewusstsein zu bringen, dass die verantwortung für safer sex bei uns liegt. wer über prep für sich nachdenkt, hat schon begriffen, dass die entscheidung bei ihm oder ihr liegt und dass es verschiedene optionen (für verschiedene lebensabschnitte/situationen/lebensentwürfe) gibt.

schon jetzt (vor prep) werden kondome nicht immer benutzt. es gibt eine konstante, stabile und v.a. viel zu hohe zahl von neuinfektionen und wer sich hier im status quo von „kondome sind der goldstandard“ eingerichtet hat, muss sich fragen lassen, ob diese zahl immer neuer infektionen jedes jahr nicht ein zu hoher preis für die eigenen richtigkeiten sind. wo sind denn bitteschön die vorschläge dafür, wie sich das ändern lässt?

ein mit-kondomen-weiter-so bringt es nicht, aber prep richtig frischen wind in die diskussion, neue motivation für safer sex und plötzlich den moment, in dem sich menschen trauen, ein „ende der aids-epidemie“ konkret zu denken.

„euer faltblatt ist viel zu optimistisch formuliert“ – ja, wir haben hoffnung und bei allem anspruch, sachlich und ruhig über prep zu informieren, zieht sich dieser ton durch unseren text. wir meinen ernst, dass es bei uns liegt zu entscheiden, was gut für uns ist und wie wir verantwortung für uns übernehmen wollen. ein text muss dafür so geschrieben sein, dass er zu dieser entscheidung ermutigt und diese in ihrer konsequenz unterstützt. diese positive grundhaltung muss sich also spiegeln, wenn man will, das leute ihre sache selbst in die hand nehmen. wer das nicht will, dem bleibt nur, das als „unverantwortlich“ anzugreifen, hat aber nicht begriffen, dass gute prävention nur bejahend und parteiisch funktioniert.

„eure angabe von prozentzahlen zur sicherheit von safer-sex-techniken ist unverantwortlich“ – wir haben den umgang mit diesen zahlen sehr lange diskutiert. einzelne methoden nebeneinenderzustellen und zu vergleichen, ist neu und ungewohnt. prep kommt (wie man die studien auch wendet) auch bei vorsichtiger betrachtung da super weg: es ist eine effektive methode. punkt. bei dauerhafter, täglicher einnahme (wie wir betonen) kommt man auf werte, die es zu einem dem kondom oder „nichtinfektiösität dank therapie“ ebenbürtigen präventiontool machen. kondomgebrauch verliert in dieser sicht seine dominante stellung und ist nicht mehr der (einzige) heilige gral der infektionsvermeidung. das ist zur kenntnis zu nehmen.

der vorwurf, unsere zahlen aus den prep-studien seien zu optimistisch interpretiert, kann man diskutieren. hinter der aussage „kondome, schutz d. therapie und prep sind in etwa in gleichem, hohem maße sehr wirksame schutzmaßnahmen gegen hiv“ stehen wir und das können wir auch verantworten.

„prep ist unsicherer, als ihr sagt, da ihr auftretende resistenzen unterschlagt.“ – wir sagen, dass resistenzen dann ein problem sein können, wenn man als unwissentlich hiv-infizierte person truvada einnimmt, hier geht es also um ein mögliches auftreten während einer behandlung. (lösung: auf hiv testen, was wir mehrfach vorschlagen.) ansonsten gibt es das auftreten von resistenten stämmen bei hiv-infizierten ja nicht erst seit gestern (es gab sie auch schon während der studien), dennoch gibt es praktisch keine übertragungen dieser stämme.

eine infektion mit einem resistenten virenstamm ist möglich (es gibt einen dokumentierten fall), aber eben hierzulande unwahrscheinlich und nur sehr selten möglich. würde das zu einem breiteren problem, würden die behörden die zulassung als prep sicher sofort zurückziehen. über spekulation oder theoretische überlegungen hinausgehende wissenschaftliche informationen nehmen wir hier gern in ein update unserer info mit auf.

„das promoten von prep führt zu einer verbreitung von geschlechtskrankheiten, besonders hepC“ – das hören wir immer wieder. zunächst: auch kondome verhindern die verbreitung vieler geschlechtskrankheiten (STIs) nicht. ein regelmäßiges monitoring führt aber dank frühererkennung zu einer diagnose von STIs, prep hilft hier also, dass sie nicht unwissentlich weitergegeben werden. natürlich kann man auch als kondom-user regelmäßig testen gehen (und sollte man auch), die realität sieht aber leider anders aus.

die hepC-diskussion ist komplex und braucht sicher ein ganzes, eigenes faltblatt. das kann man schreiben, wenn einem das wichtig ist, muss man uns aber nicht als gegenargument zu prep zwischen die beine hauen. hepC wird eher bei fisten, in gruppensituationen, benutzung des gleichen crisco-topfes und bei wiederverwendung von nicht desinfizierten toys übertragen. risiken steigen bei besonders langem sex, chemsex, sex, bei dem blut im spiel ist. das alles müssen leute (die das betrifft) wissen, egal ob sie auf prep oder auf kondomen sind. wir finden das wichtig und erzählen es weiter. in unserem faltblatt schreiben wir, dass safer-sex-methoden auch kombiniert werden können. das gilt wohl besonders hier.

„infos zu prep führen zu vereinzelung und entsolidarisierung im zusammenhang mit safer sex“ – diese gefahr hat immer, bei allen safer-sex-methoden bestanden (und wer hiv-positiv ist, hat das auch viel zu oft erlebt und erlebt es auch heute noch unfassbar häufig). wo wir sagen: prep gibt dir selbst die kontrolle über das safer-sex-geschehen, sagen wir gleichzeitig auch: reden über safer sex ist immer noch notwendig und wichtig.

uns, die wir infos zu zeitgemäßem safer sex (weit über prep hinaus) aus einem aktivistischen selbstverständnis heraus verfassen und unseren szenen bereitstellen, vorzuwerfen, zu entsolidarisierung und vereinzelung beizutragen, drängt sich hier eine ganz andere frage auf: muss, um diesen vorwurf aufrechtzuerhalten, nicht die perspektive von menschen mit hiv völlig ausgeblendet werden? könnte nicht eine entstigmatisierung, entdramatisierung, normalisierung von sex mit potentiell hiv-positiven zu mehr miteinander und solidarität führen oder sind die hivchen nicht auch in zukunft noch ganz gut zu gebrauchen, um sich auf der rechten seite zu wähnen – clean und alles richtig gemacht.

das fällt uns auf: die hiv-perspektive wird in der prep-diskussion oft einfach unter den tisch fallen gelassen. das ist einseitig, wenn auch nicht immer gleich serophob. solidarisch ist es jedenfalls nicht.

„ihr seid nicht pharma-kritisch genug.“ – wenns nach uns geht, kann die pharma-branche gleich komplett verstaatlicht werden. pharmakologisch-technische errungenschaften im bereich hiv-therapie und-prävention sind in unserer gesellschaft jedoch im moment an profite gebunden. wer pharma-kritisch sein will, soll das sein. wer auf medikamente angewiesen ist und ohne längst krank oder nicht mehr am leben wäre, soll zugang zu ihnen haben, wenn er das wünscht, genauso wie alle prep (finanziert) bekommen sollen, wenn sie das brauchen und wollen. erster schritt: breit informieren, damit jede/r um die möglichkeiten weiß und den zugang einfordern kann. schön, wenn unser faltblatt dazu führt, das anzustossen.

wir haben natürlich auf dem schirm, dass es menschen ohne krankenversicherung gibt. logischer schritt wäre für uns, die einführung von prep für alle und eben auch für diese gruppe von menschen zu fordern und das nicht an uns zu adressieren, sondern von der gesundheitspolitik zu fordern. das fänden wir richtig konstruktiv und nach vorn gedacht.

„prep ist doch viel zu teuer!“ – prep ist nicht für alle und das sagen wir auch. von prep profitieren bestimmte gruppen hochriskierter menschen. bleiben sie (wir) gesund, profitieren (wir) alle. – wer die kostenfrage als zentral in die diskussion stellt, argumentiert letztlich in der logik von verwertung, effizienz und mehrwert. innerhalb eines auf wettbewerb getrimmten gesundheitsystems ergibt das auch sinn, kann aber nach unserer auffassung in den reichen wohlstandsgesellschaften des westens für uns selbst kein argument sein. denn: luxus ist für alle da! und der luxus reicht auch für alle. – bleibt man aber in jener logik, lohnt es, sich das ganze von den US-amerikanischen krankenkassen vorrechnen zu lassen. die wollen nämlich kosten sparen (damit profit übrig bleibt) und finanzieren ihren mitgliedern lieber ein paar jahre prep statt einer dreifachkombi dieser medikamente plus ärztlicher versorgung bis ans lebensende. und damit ist die kostendisko eigentlich auch schon abgeschlossen.

„ihr richtet euch an eine viel zu kleine gruppe von leuten“ – wir sind selbst teil unserer zielgruppe, nämlich: männer, die sex mit männern (MSM) haben. und das in ihren facetten von identitäten, vorlieben, serostatus und sozialen und politischen charakteristika – hier kennen wir uns aus. gleichwohl sind wir nicht exklusiv und halten die auseinandersetzung offen und anschlussfähig. das zeigt sich z.b. in einer nicht ausschließenden sprache.

prep ist auch für andere gruppen gut, klar. für die braucht es speziell zugeschnittene infos. werden wir da um unterstützung gebeten, stehen wir mit unserem know how zur verfügung.

„eure infos sind nicht auf frauen zugeschnitten“ – genau. wir beschränken uns auf unsere zielgruppe.

es bleibt gleichzeitig zu sagen, dass prep auch für frauen eine großartige errungenschaft ist. in den USA wird sie deshalb auch für sie breit beworben. wer unser faltblatt gelesen hat, weiß auch, dass wir die zulassung (und kostenübernahme) des medikaments als prophylaxe fordern. dies geht damit einher, dass es (mit einem rezept) verschrieben und die einnahme ärztlich überwacht werden muss. selbstverständlich ist zu fordern, dass nur personal, welches das entsprechende fachwissen hat, das auch tun darf. das gilt auch in bezug auf besonderheiten und bedürfnisse von frauen, z.b. mit einer anpassung der dosierung.

dass sich im moment leute prep besorgen und selbst verordnen, ist eine realität, die wir zu kenntnis nehmen müssen. im sinne von harm reduction weisen wir sie darauf hin, was sie dabei besser nicht falsch machen sollten. diese situation ist nicht ideal. logisch. so leiten sich die dosierungsangaben im infotext aus studien ab, die mit MSM durchgeführt wurden, was wir im text angeben.

die situation ist für prep-user unbefriedigend. auch sie tragen die risiken der fehlenden zulassung. daraus ergibt sich für uns die forderung, prep schnell zuzulassen, sodass sie bald in den genuss ärztlicher betreuung im zusammenhang mit prep kommen.

über prep zu sprechen ist neu und komplex. es gab hierzulande noch vor kurzem überhaupt keine diskussion darum. unser faltblatt ist einer der ersten inputs dazu und jetzt gibt es eine auseinandersetzung und das ist gut. zugleich kann man über den deutschsprachigen horizont hinausschauen und feststellen, dass anderswo prep breitflächig als präventive methode implementiert wird und erfolgreich ist, besonders in den USA. auch wenn sich die situation von der unsrigen unterscheidet, sehen wir dort einen starken rückgang von HIV-neuinfektionen – bisher ohne dramatische resistenzentwicklungen – und wir sehen auch keine gleichzeitige explosion von STIs. die kommunikation um prep ist dort bunt, differenziert, politisiert und irgendwie viel weiter. prep gibt es mittlerweile in kanada, in Kenia, Peru, in Südafrika, in unserem nachbarland frankreich und demnächst in israel. selbst in großbritannien, wo es breitflächig studien zu prep gab und gibt, ist das bewusstsein für deren chancen viel größer. wir sehen dort gerade, dass sich schwule und andere männer, die prep nehmen wollen, organisieren und protest formulieren gegen die entscheidung der nationalen gesundheitskasse, die kosten dafür nicht übernehmen zu wollen. sie wollen sich nicht bevormunden lassen und lassen sich mit kostendiskussionen und einer weiteren bedarfsanalyse-studie zu prep nicht abspeisen.

hier im deutschsprachigen raum ist daran nicht zu denken. prep fällt für viele gerade wie vom himmel, die diskussion innerhalb der szenen beginnt gerade erst. es fehlt schlicht an wissen, aber es fehlen genauso die menschen im umkreis, die prep nehmen und an denen man sieht, „dass das funktioniert“. in den metropolen ist prep dennoch schon präsent für die, die das sehen wollen: auf den schwulen datingplattformen geben viele an, prep als safer sex praktizieren zu wollen, tourist*innen „auf prep“ sind in der stadt und vereinzelt kennt man auch schon jemanden, der hier lebt und prep einnimmt.

prep muss und wird kommen. bereiten wir uns darauf so gut wie möglich vor.

mündigkeit statt bevormundung!