WER SEIN LEBEN FÜR EINEN GUTEN FLIP RISKIERT

Ein Interview mit Pvssy divx, Honey Vergony und Ixjona_tamara, die im Juli zu einem längeren Aufenthalt in Berlin eintrafen, nachdem sie wegen der Covid-19-Pandemie monatelang in Madrid eingesperrt waren. Als Mitglieder des Vogue Dance Kollektivs HOUSE OF TUPAMARAS in Bogotá tanzen, choreographieren, managen und animieren sie die „Bälle“. Neben diesem Projekt treten sie als zeitgenössische Tänzer*Innen auch solo auf.

man*Check, The Pink Post und LoveLazers sprechen mit ihnen über den Lockdown in Madrid, Sexdates und neue Erfahrungen beim Konsum psychoaktiver Substanzen in der queeren, schwulen Szene.

Interview mit dem Kollektiv House of Tupamaras, 23:19 Minuten lang, spanisch mit englischen Untertiteln.

Alejandro: Ihr bezeichnet Euch als nicht-binär und genderfluid – Würdet Ihr sagen, dass ihr zu einer Community gehört? Zu welcher?

Pvssy divx: Zu der der sexuellen Dissidenten, der Peripheren, der Trans, der Schwuchteln, der Prekären …

Honey Vergony: Für uns ist es kompliziert, uns zu einer Community zuzuordnen, weil wir ständig mit vielen Kollektiven, vielen verschiedenen Künstler*innen zusammenarbeiten.

Ixjona_tamara: Innerhalb des Kollektivs haben wir uns einen sehr starken Körperausdruck erarbeitet, der sich mit sexuellem Dissens befasst und den Binarismus bricht, der in unseren Körpern und in unserer Ästhetik normalerweise existiert. In Bogotá arbeiten wir mit verschiedenen Communities, mit allen, die mit Dissidenten und Queers zu tun haben, mit Transsexuellen, Nicht-Binären, Queers. Wir sind künstlerisch und politisch mit ihnen verbunden.

Alejandro: Und wie hat sich die Quarantäne auf die Communitites ausgewirkt, in denen Ihr euch bewegt?

Honey Vergony: Es betrifft uns ökonomisch, v.a. weil wir im künstlerischen, kulturellen Bereich und im Party-Umfeld arbeiten. Jetzt sind die Parties vorbei. Es gibt nun keine Orte mehr, an denen man sich treffen könnte. Für Orte wie Bogotá trifft dies in besonderem Maße zu. Den Communities geht es wirklich schlecht, denn im Moment müssen sie sich auf andere Weise organisieren, um Hilfe oder Geld zu erhalten.
Das Trans Community Network (Red Comunitaria Trans) z.B. hat sich auf unglaubliche Weise organisiert, um die Community zu unterstützen. Es versorgt Sexworker und Trans-Leute, die nicht arbeiten und kein Geld verdienen können, mit Lebensmitteln. Und ich denke, es hat unsere Möglichkeiten, Geld zu verdienen, stark beeinflusst.

Pvssy divx: Ja, auch unsere Dynamik hat sich verändert. Wir arbeiteten auf Parties, in Open Spaces und auch auf der Straße oder in Nachtclubs. Jetzt müssen wir nach anderen Wegen suchen, um für uns selbst zu sorgen. Wir arbeiten mit sozialen Organisationen zusammen, die Nahrungsmittel und wirtschaftliche Unterstützung anbieten. Als wir drei Monate lang in Madrid festsaßen, schlossen wir uns einer Migrant*Innengruppe an. Diese Verbündeten waren eine große Unterstützung für uns, weil sie uns mit Projekten in Verbindung gebracht haben, an denen sie bereits gearbeitet haben. Wir konnten mit lokalen Künstler*Innen und mit Latina-Schwestern in Kontakt treten.

Alejandro: Hat es in Euren Communities Solidarität gegeben oder habt Ihr nur Vereinzelung empfunden?

Honey Vergony: Solidarität kam v.a. von den Sudaka[1], insbesondere von rassistisch diskriminierten Menschen. Wir standen ihnen näher als, sagen wir, den …

Ixjona_tamara: … den Gays aus Madrid, all den schwulen Kreisen dort. Wir haben uns mehr für die Latino-Einwanderer*Innen-Community interessiert, die Schwuchteln sind, die aber eben auch eingewandert sind und rassifiziert sind und nicht die gleichen Räume haben wie die weißen Queers in Madrid. Sie alle bilden ein Support-Netzwerk.

Alejandro: Der Aspekt der Herkunft (“component racial”) war Euch also wichtiger als die sexuelle Komponente, die für die Bildung eine Community entscheidend ist?

Ixjona_tamara: Ich hab das Gefühl, dass es mit beiden zu tun hat, denn sie sind genau wie Menschen oder Kollektive, die sich als sexuell Dissidente vereinen. Aber sie haben auch die Realitäten von Migrant*Innen, die die Basis für Selbstverwaltung und Schaffung von Support-Netzwerken sind … Wir haben zum Beispiel mit Mama Lynch gearbeitet. Sie macht aktivistische Performances und ein Projekt zur sexuellen Dissidenz mit der Gruppe der Ausgegrenzten. Sie organisierte auch ein Projekt von im Exil lebenden Menschen mit der Reina Sofía (Nationalmuseum für Moderne Kunst, Madrid), und es hat genau mit diesen beiden Dingen zu tun: Exil und Sexualität. Es geht also um diese beiden Bereiche. Aber ich spürte mehr Unterstützung von der Gemeinschaft der Migrant*Innen.

Honey Vergony: Ja, von ausgegrenzten Menschen, die ebenfalls nicht in diese Stereotypen passen. Die schwulen Kreise präsentieren sich zwar als super offen und inklusiv, aber eigentlich schließen sie nicht alle ein. Die Menschen fühlen sich also ausgegrenzt und wollen ihr eigenes Ding machen. Und dann beginnen sie, ihre eigenen Unterstützungsnetzwerke aufzubauen. Wenn zum Beispiel jemand Neues kommt, arbeiten alle daran, helfen und finden einen Ort zum Leben für diese Person. Das ist nicht die komfortable Position, meine helfende Hand wie ein Almosen anzubieten. Sondern es ist eine Hilfe, weil wir beide ähnliches erlebt haben. Und nicht das allein: wir sind Menschen und helfen uns gegenseitig, damit es uns gut geht. Das war es, was ich bei diesen Kollektiven dort gefühlt habe. Das unterscheidet sie von den schwulen, weißen Schwuchteln.

Alejandro: Was hätte besser laufen können? Also, durch die Communities, von denen Ihr Euch unterstützt fühltet, als auch durch die, die Euch nicht so unterstützt haben?

Ixjona_tamara: 

Nun, ich weiß es nicht. Es gibt zwei verschiedene Seiten und jede von ihnen zeigt auf andere Dinge. Weiße Queers und rassifizierte Queers bewegen sich in sehr unterschiedlichen Kontexten. Ich kann nicht sagen, was die weißen Queers hätten besser machen können, weil es mich nicht so sehr interessiert, weißt Du? Ich interessiere mich nicht für sie, weil sie sich nur gegenseitig stützen und sie allein das gemeinsame Wohl eines weißen, eher privilegierten Sektors interessiert.

Ich bin mehr daran interessiert, darüber nachzudenken, was wir getan haben und was wir mit den rassifizierten Leuten hätten tun können, weil sie es schwerer haben. Wenn man etwas hätte besser machen können, dann wäre es die Suche nach mehr Unterstützung oder nach Orten, wo man sie bekäme. Auf der anderen Seite ist die weiße Queer-Szene, von der ich mich partiell ausgeschlossen fühle, kein Ort, an dem wir uns engagieren können. Was die queeren weißen Zusammenhänge tun und wie sie sich organisieren, ist also ihr eigenes Problem. Am besten wäre es, diese Barrieren abzubauen und jemandem unabhängig von seiner Herkunft zu helfen, und zwar für alle gleichermaßen. Das hieße zu akzeptieren, dass man ein weißer Queer ist, der in Madrid lebt, der Privilegien und eine Menge Unterstützung hat, die man leicht für Queers, die von woanders herkommen, einsetzen könnte – und das ohne eine Gegenleistung dafür zu erwarten.

Honey Vergony: Ja, genau. Was denkst Du, wie sich das anfühlt: „Also gut, wenn ich dir helfe, machen wir aber auch noch ein Foto für Instagram“. So also würde man sagen wollen: „Das zeigen wir jetzt allen, dass ich dir helfe“. – Girl, also, bitte!

AlejandroWard ihr durch die Quarantäne mit weniger Menschen in Kontakt also vorher?

Ixjona_tamara: Ja, wir waren mit verschiedenen Personen in Kontakt. Als wir in Madrid ankamen, haben wir Kontakte geknüpft. Während des strengen Lockdowns waren wir in Ausgangssperre, ohne jeglichen Kontakt mit irgend jemandem. Und als der Lockdown endete, sind wir rausgegangen. Wir lernten Mama Lynch und ihren Space “Nigredo” kennen. Wir trafen Leute, darunter Aktivist*Innen und deren Freunde. Meist Latinos, auch einige Spanier*Innen. Wir trafen uns im Park oder auf einen Drink. Wir lernten Leute kennen, trafen uns auch über Grindr. Irgendwie arrangierten wir uns.

AlejandroWar die virtuelle Sphäre während der Quarantäne wichtiger als die physische?

Honey Vergony: Ja, natürlich. Wir waren ja eingesperrt. Und wir kannten Madrid auch gar nicht.

Pvssy divx: Genau genommen, lernten wir Mama Lynch über einen meiner Grindr-Kontakte kennen. Also, ja. Wir erfuhren über Grindr auch, wie und wo man was zu essen bekommt oder sich bei einem sozialen Dienst der Stadt melden kann. Auf diese Weise konnten wir uns sogar auf HIV und Hepatitis testen lassen. Grindr stellt viele solcher Verbindungen her. Während des Lockdowns war das überaus nützlich.

AlejandroDurch Grindr bekamt ihr dann Zugang zu Tests auf sexuell übertragbare Infektionen (STI)?

Honey Vergony: Ja, ein Grindr-Profil informierte darüber, dass es diesen Service kostenlos gibt – egal welche Aufenthaltspapiere du hast. Nur deinen Ausweis und das war’s.

Pvssy divx: Eigentlich hättest du auch jeden beliebigen Namen für diese Tests auf Hepatitis C, Syphilis und HIV angeben können – alles kostenlos. Und wir hatten auch die Möglichkeit, uns woanders auf Chlamydien, Gonorrhö, Hepatitis B testen zu lassen. Das Madrider Gesundheitssystem ist da schon kool.

AlejandroHabt Ihr Euch dann testen lassen?

Honey Vergony: Ja. Du musstest zunächst ein ellenlanges Formular zu den Drogen ausfüllen, die du genommen hast – und viele habe ich zum ersten Mal in Madrid konsumiert! „Also: Das. Und das, Und das hier auch …“ Die Liste wurde immer länger. (alle lachen)

Ixjona_tamara: Eine vollkommen unaufgeregte Situation, ich war wie für mich allein in dem Moment. Wir bekamen alle Informationen, die wir brauchten. ‘Ne Schachtel mit Kondomen dazu. Ja, das war für mich ein ruhiger und entspannter Prozess.

AlejandroHat die Quarantäne die Art und Weise, wie Ihr Kontakte herstellt und pflegt, verändert?

Honey Vergony: Nun, alles hat sich total verändert, denn wir kommen ja aus Kolumbien. Es war wie Sachen-zum-ersten-Mal-machen. Ich war auf jeden fall aktiver aufgrund von Grindr. In Bogotá nutzte ich es kaum. Ich wusste nicht einmal mehr, wie es aussieht. In Madrid habe ich dann angefangen, es mehr zu benutzen.

Pvssy divx: Der erste Monat der Quarantäne war super heftig, weil wir nur wir drei waren. Auf Plattformen wie Grindr, Wapo, Tinder, Scruff konnten wir dann mit anderen kommunizieren… Irgendwie erlauben dir die Apps Privatsphäre bei deinen Chats. Trotz Datenfiltern und der begrenzten Zeit, mit jemand anderem zu sprechen, merkst du, dass die andere Person in der gleichen oder einer schlechteren Situation ist als du selbst, super gelangweilt und so weiter … Also, ich nutze diese Plattformen jetzt sehr oft, ja.

AlejandroUnd vorher nicht?

Pvssy divx: Nun, in Kolumbien war das alles sehr einfach ohne. Du gehst einfach in eine Bar und nimmst dir einen Typen mit nach Hause.

Alejandro: Hattest Du vor der Pandemie eine/n Partner*In oder eine stabile Beziehung?

Honey Vergony: Wir arbeiten seit drei Jahren als Tupamaras zusammen. Wir sind also die ganze Zeit zusammen. Das ist die Beziehung, die wir hinter uns gelassen haben, als wir drei Kolumbien verlassen haben.

AlejandroOhne feste Beziehung hattet Ihr aber dennoch Sex. – Wie hat sich die Quarantäne darauf ausgewirkt? Wie haben sich die Sexdates angefühlt? Hattet Ihr Angst wegen des C19-Virus?

Pvssy divx: Ja, da war große Angst, eine andere Person physisch zu treffen. Es waren v.a. auch die Hygienemaßnahmen, die Handschuhe, die Masken, die mir Angst gemacht haben. Zugleich fühlte ich mich durch polizeiliche Repression, Quarantänemaßnahmen usw. unter Druck gesetzt. Wollte ich auf die Straße, musste ich eine Einkaufstasche mit Lebensmitteln darin dabei haben. Auch die Begegnungen selbst waren sehr hastig und kurz. Blasen, reinstecken und tschüss. 10 oder 20 Minuten. Es war sehr basic und langweilig.

AlejandroUnd das war wegen der Quarantäne?

Honey Vergony: Ich glaube, es hat viel damit zu tun, aber auch damit, wie Sex in Madrid ist. Es gibt viele Binarismen, vor allem bei sexuellen Begegnungen.

AlejandroSiehst Du einen großen Unterschied zwischen Deinem Sex in Spanien und Kolumbien?

Honey Vergony: Ja.

Alejandro: Ja? Völlig unabhängig von der Quarantäne?

Honey Vergony: Ich glaube schon. Es waren eher Chemsex-Treffen. Ganz anders als in Kolumbien. Dort ist das nicht so, oder?

Pvssy divx: Stimmt, dort ist das nicht so üblich. In Spanien hatten die meisten Menschen in der Quarantäne nichts zu tun. Dichtsein, mir ein paar Bekannte einladen; einige dieser Begegnungen waren super seltsam. Ich konnte mit den Typen kaum in Kontakt treten, weil sie einfach komplett stoned waren, ihre Schwänze nicht hochkriegten oder einfach panisch reagierten.

Honey Vergony: Das war der Moment, in dem ich den Spaß daran ein bisschen in Frage stellen musste. Da war nichts angenehm für mich daran, denn Sex ist etwas anderes für mich. Ich bin auch gern high, und das ist auch in Ordnung. Aber ich denke, wenn die Typen so verdreht und high sind, dann ist das so, als ob nichts passiert. Sexuelle Energie kommt da nicht zum Fließen. Es ist so befremdlich. Aber es ist natürlich auch neu und ungewohnt. Zu Beginn der Quarantäne waren wir sehr horny.

Ixjona_tamara:

Ja, wir waren lange Zeit in Ausgangssperre und hatten hohe Erwartungen an das Sexleben in Madrid: offener, viel schmutziger auch, mehr Hardcore. Und dann, in den ersten Tagen der Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen fingen wir an, uns zu daten, und ich konnte fühlen, dass auch andere Bock auf Ficken hatten. Ich hatte schon lange keinen körperlichen Kontakt mehr gehabt und ich wollte es einfach genießen. Dann durfte man wieder raus und ich wurde ruhiger. Die Treffen waren dann intimer und intensiver. Dann hatte ich auch das Gefühl, dass sich alles wieder normalisierte. Ich begann mit all den Drogen, die ich zuvor in Kolumbien nie konsumiert hatte.

Ixjona_tamara: … Mephedron, Speed oder G: eine andere Art, Sex zu genießen. In Kolumbien sind die Dates manchmal sporadischer und drehen sich nicht so sehr um Substanzkonsum. Das hat sich sehr verändert: Man konnte sich eine ganze Nacht, einen ganzen Tag an einem Ort aufhalten, mit Leuten Zeug sniefen, konsumieren, um dann nicht die ganze Zeit zu ficken, sondern verschiedene Zustände zu durchlaufen. Das war etwas Neues, sich dem auszusetzen, unbekannte, sexuell-körperliche Interaktion mit anderen … warum auch nicht? In Kolumbien ist das in der Form nicht oft passiert. Aber dann hat sich die Lage wieder normalisiert, es gab wieder Group-Sex, Sexdates und auch Cruising auf der Straße oder im Park. Das waren Formen, Befriedigung zu erlangen.

Alejandro: Also seht ihr den Gebrauch psychoaktiver Substanzen in einem Zusammenhang mit der Quarantäne oder ist das völlig unabhängig voneinander?

Honey Vergony: Ich glaube, den Zusammenhang kann man sehr deutlich sehen.

Ixjona_tamara: Sicher hat es das auch schon vorher gegeben. Für mich war das seltsam, dass die Typen sagten, dass sie nur mit Drogen ficken wollen. Ohne können sie es nicht. Wo wir herkommen, wird man geil und fickt. Im Vergleich zwar vielleicht nicht so lange, aber man gebraucht keine Substanzen, um das zu verlängern, um eine Atmosphäre zu schaffen. Hier aber habe ich das Gefühl, dass die Leute von bestimmten Drogen abhängig sind.

Honey Vergony:

Es ist auch einfach die Mischung so vieler Substanzen … Erst Mephedron, dann Viagra, um einen Ständer zu bekommen. Als nächstes Poppers. Dann vieles gleichzeitig. Und dann noch eine Viagra.
Einmal war ich mit einem Typen zusammen, das war sehr gut – er zog Poppers, und zwar richtig viel. Und von einem Moment auf den anderen, ich weiß nicht wie, wurde er blass, und ich hatte große Angst. Ich dachte: „Stirbt der jetzt etwa?“

AlejandroDu hast also vor der Quarantäne weniger konsumiert?

Honey Vergony: In Kolumbien gebrauchen wir andere Drogen. Mir gefällt da Koka mehr. Ich mag Poppers, aber nicht zum Feiern. Gern einen Joint, eine Ecstasy … (lacht) Aber ich finde die Drogen hier auch nicht unangenehm. Was ich nicht mag, ist dieses Gefühl, dass es sich ums Ficken drehen soll. Wenn ich Mephedron ziehe, kriege ich keinen hoch und ich muss eine Viagra nehmen. Ich will das eigentlich nicht. Ich würde lieber ein bisschen ficken und dann entscheiden, ob ich high werden will.

AlejandroDas Verhältnis zu Substanzkonsum war also vor der Quarantäne weniger sexuell konnotiert?

Ixjona_tamara: Ja, das war eher ein Party-Ding.

AlejandroZur Entspannung sozusagen.

Honey Vergony: Richtig, für Sex wurden die nicht so benötigt.

Alejandro: Und jetzt?

Ixjona_tamara: Seit unserer Ankunft in Berlin haben wir bisher wenig auf Drogen Sex gehabt. Wir haben eher draußen in der Natur gefickt. Wir haben auch so Spaß. Für mich ist das auch kein Problem ohne Drogen.

Pvssy divx: In Spanien spürte ich auch, dass es Konsum-Druck gab. Diese Vorstellung, ultra-high sein zu müssen, um gefickt zu werden, um mich gut drauf zu fühlen – andernfalls geht nichts. Wenn ich nicht high werden wollte, sondern einfach nur ficken, fühlte ich diesen Druck: „Warum nicht ein bisschen high werden?” Mephedron oder Speed vermindern meine Libido, ich gerate in einen Zustand der Inaktivität, und das mag ich nicht sehr.

Honey Vergony: Wir waren auch auf Durchreise, experimentierten und lernten neue Dinge kennen.

AlejandroIhr wolltet Typen kennenlernen, also dachtet Ihr vielleicht irgendwann: „Wow! Ich weiß, dass das in der Quarantäne vielleicht als nicht ganz verantwortungsvoll gilt, will das aber tun.“ Hattet Ihr diese Art von Konflikt mit Euch selbst?

Pvssy divx: Ich fühlte mich ein wenig von dieser Illegalität angezogen, dem illegalen und heimlichen Sex. Ich habe geradezu eine Lust entwickelt, um Mitternacht alleine rauszugehen, ohne jemanden zu sehen oder gesehen zu werden. Natürlich haben wir dort, wo wir während der Pandemie wohnten, für die Zeit der vielen Todesfälle ein paar Regeln aufgestellt. In diesen anderthalb Monaten, so waren wir uns einig, durfte von uns dreien zu uns nicht zurückkehren, wer rausging und Sex hatte.

Ixjona_tamara: 

Ein Risiko einzugehen, hieß, dass alle drei von uns dieses Risiko eingehen. Wir beschlossen also, ruhig zu Hause zu bleiben, bis wir rausgehen konnten. Ich hatte auch das Gefühl, dass die Angst sehr groß war. Eine allgemeine Angst entwickelte sich um Beziehungen, Polizeiaktionen, die Nachrichten … Ich verstand zwar den Ernst der Lage, aber ich erlebte diese Angst auch als eine Form der Dominanz.
Später, nach der Lockerung der Restriktionen, konnte man in “Phase II” in Bars und Straßencafés gehen. Ich fragte mich, ob die Menschen, die sich dort Risiken aussetzten, das wirklich interessierte? – Was sollte dann das Problem sein, einen anderen Typen zu treffen?

Alejandro: An diesem Punkt habt Ihr beschlossen, euren Lockdown zu beenden?

Ixjona_tamara: Das erste war, keine Angst zu haben. Wir kannten dort ja niemanden, also waren wir bereit, Leute zu treffen. Wir beschlossen, keine Angst zu haben und gingen einige Risiken ein.

Pvssy divx: In etwa wie: „Ich riskiere mein Leben für einen guten Fick“. (Anmerk. der Redaktion: zitiert aus Kapitel 7 aus der „BE A LOVELAZER„-Deklaration von 2019)

Ixjona_tamara: Auf jeden Fall.

Alejandro: Der Gebrauch neuer Substanzen, die Unmöglichkeit, Menschen zu treffen, die jüngste Fetischisierung der Pandemie – In Bezug auf die psychische Gesundheit: Fühlt Ihr Euch besser oder schlechter als vor der Quarantäne?

Honey Vergony: Der Lockdown war extrem hart, weil wir normalerweise viel mit anderen interagieren, beim Feiern, bei unseren Auftritten, bei allem, was wir tun. In einer unbekannten Stadt anzukommen, und dann eingesperrt zu sein, das war ein großes Problem. Ich persönlich war isoliert, wir lebten zwar zusammen am selben Ort, aber jeder bewohnte einen Teil davon. An manchen Tagen sprachen wir gar nicht miteinander, an anderen sahen wir uns nicht einmal. Ich war zwar nicht depressiv, vermisste aber viele Dinge! Ich hatte das Gefühl, dass diese Situation nie aufhören würde. Das fühlte sich an wie “Bitch! Was soll nur aus meinem Leben werden? Manchmal nahm ich mir vor, etwas zu tun, z.B. zu trainieren oder mich bewegen, aber es ist dann einfach nicht passiert. Ich steckte kreativ fest. Ich begann zu lesen und mir Filme anzusehen, mich auf andere Weise abzulenken, damit sich das nicht anfühlt wie festsitzen und vor Langeweile sterben.

Ixjona_tamara:

Ich habe mehrere kleine Krisen durchgemacht. Gerade, weil ich eingesperrt war, hatte ich das Gefühl, meine Zeit zu vergeuden. Wir hatten große Pläne und künstlerische Erwartungen und konnten nicht viel tun. Unser Visum lief ab und es war frustrierend ans Haus gefesselt zu sein. Finanziell war das auch ein Problem: Wir konnten nicht arbeiten, mussten aber für Unterkunft, Essen und grundlegende Dinge aufkommen. In diesem Moment standen wir unter großem Druck, haben aber einen Weg gefunden, das zu lösen. Wir blieben an einem Ort, groß genug um zusammen zu sein, Musik zu machen, manchmal etwas zu trinken. Aber wir konnten nach Belieben auch für uns allein sein, das war kool. Wir hatten immerhin uns, konnten streiten oder zusammen abhängen, das war ok … nicht so schrecklich.

Pvssy divx:

Ich habe Angstmomente erlebt, viel Angst, die ich mit Essen zu bewältigen suchte: Essen wie ein Schwein. Ich hab aber auch viel trainiert. Ich war sauer, weil ich in einer der architektonisch schönsten Städte der Welt war und sie zugleich nicht besichtigen, Leute treffen oder Netzwerke aufbauen konnte. Ich glaube auch, dass unsere Ängstlichkeit dadurch entstand, dass wir kein Gras hatten. Eineinhalb Monate ohne ein einziges Gramm Gras, das war wie … Fuck! Ich musste das durch etwas anderes ersetzen, wie z.B. Training, Kreativsein und Dinge produzieren. Es gab aber auch einige introspektive Momente, die mich über mein Leben nachdenken ließen. Und ich war auch sehr produktiv, wenn ich ans Überleben dachte: Anrufe, Mails, Institutionen kontaktieren. Auch das war positiv.

Das Schlimmste war, dass ich mich daran gewöhnt hatte, isoliert zu sein. Immer wenn ich hinausging, wollte ich nach einer halben Stunde sofort wieder in mein Bett zurück. Es herrschte eine seltsame Dynamik auf der Straße, Distanz, kein Sichtkontakt mit anderen, aus Angst. Als wir dann wieder Sex hatten, war das auch seltsam. Körperkontakt war in Ordnung, und ich glaube, Drogen machten alles leichter, aber der Sex war mir viel zu genital, kein Tantra, kein Hautkontakt. Blasen, ficken, abspritzen. Und das war’s.

Alejandro: … Konsum von Körpern anstelle von Drogen …

Pvssy divx: Das ist Selbstbefriedigung mit Hilfe eines anderen Körpers. Es war befriedigend, aber kurz darauf war ich schon wieder bei Grindr. Ich konnte vier oder fünf Mal am Tag für sechs oder sieben Stunden Sex haben … Es war viel zu exzessiv!

Alejandro: Haben sich in diesen Zeiten des Eingesperrtseins für Euch neue Perspektiven ergeben?

Pvssy divx: … in der Lage sein, sich politisierten Menschen zu nähern, die sich ihres Kontextes und der bestehenden Kämpfe sehr bewusst sind. Mir wurde zum Beispiel klar, dass es innerhalb der Community der Migrant*Innen eine starke Suche nach Räumen gibt, die eigentlich nicht für sie bestimmt sind. Um Aufenthaltspapiere zu bekommen, muss man jemanden heiraten oder um politisches Asyl bitten. Das Spektrum in Bezug auf Migrations- und Minderheitenfragen hat sich für mich sehr geöffnet. Das ist, glaube ich, positiv.

Ixjona_tamara: Nun, eine gute Sache an all dem war die Änderung unserer Pläne. Was wir nach diesem beschissenen Ausnahmezustand dann gemacht haben, war eigentlich besser als unser ursprünglicher Plan. Wir haben viel mehr Menschen kennengelernt. Und wir waren offener, mögliche Chancen zu verfolgen.

Dann war es auch besser, hier eingesperrt zu sein als in Bogotá. Hier hatten wir Zugang zu sozialen Diensten, um etwas zu essen zu bekommen. Ohne Arbeit hätte ich mir in Bogotá keinen Platz zum Wohnen oder gar Essen leisten können. Was ich hier erlebt habe, war also nicht so hart wie das, was ich dort hätte ertragen müssen.
Wir sind ja Teil der Nightlife- und Partyszene, und zu sehen, dass diese komplett geschlossen war, war frustrierend. Parties online streamen, das macht für mich keinen Sinn. Letztlich ist man doch allein und nur durch den Bildschirm verbunden. Das fühlt sich nicht wie echte Interaktion an. Für mich fühlt sich das einfach nicht wie Realität an.

House of Tupamaras
The Pink Post
man*Check


[1] Sudaka: im Spanischen ursprünglich abwertender Begriff für Immigrant*Innen aus Südamerika, heute auch als stolze Selbstbezeichnung verwendet.


© ThePinkPost, man*Check & LoveLazers, Aug 2020.
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Photo: „Madrid 2020, I – III“, Collage by Diashi. Based on the private photo library and instagram pictures of the interviewed persons.

Interview: Alejandro (The Pink Post); Transcription and Translations: Fabián, Alejandro, Jan, Cristian, Julián, Falk, Christian, Simon, Sergio, Iván, Schexi.